Dienstag, 30. Mai 2017

Margot Käßmann und ihr Nazi-Schmutz

Im Grundsatzprogramm der Partei Alternative für Deutschland (AfD) steht unter 6.2 die Forderung, "mittels einer aktivierenden Familienpolitik" mittel- bis langfristig "eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung" zu erreichen. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, äußerte sich dazu auf dem Evangelischen Kirchentag.

Käßmann sagte dazu, die Forderung nach einer höheren Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung entspreche dem kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten: Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. Da wisse man, so Käßmann, woher der braune Wind wirklich wehe.

Puh, da schwingt sie wieder: die Nazi-Keule. Obwohl doch Familienpolitik zur Steigerung der Geburtenrate jahrelang von vielen Parteien diskutiert, propagiert und praktiziert wurde und wird. Etliche Talkshows wurden mit diesem Thema bestritten. Ein einziges Wort macht heute alles anders: "einheimische". Die AfD meint also die deutsche Bevölkerung, nicht die Zuwanderer.

Im Lichte der millionenfachen unkontrollierten muslimischen Einwanderung hielt es die AfD für sinnvoll, ihre Forderung nach einer höheren Geburtenrate präzise zu formulieren - sie auf die einheimische Bevölkerung zu begrenzen. Bei der bekanntermaßen hohen Fortpflanzungsrate der Muslime keine unwichtige Differenzierung.

Zunächst setzte Kritik gegen Käßmann ein. Ihre Nazi-Parallele sei gewissermaßen Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen gegen heute lebende Deutsche. Die Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die medialen Platzhirsche unterstellten Käßmanns Kritikern Niedertracht, weil sie Käßmanns Nazi-Verdikt aus dem Kontext gerissen hätten. Eine unbändig aggressive Bewertung verfasste der Journalist Boris Rosenkranz auf dem Medien-Blog Übermedien.  

Die AfD habe eine "heilige Hetzjagd" gegen Frau Käßmann eingeläutet, behauptet Rosenkranz. Der Begriff "heilige Hetzjagd" stammt übrigens aus dem Kommunistischen Manifest - vielleicht nicht die beste Referenz. Die Käßmann-Kritiker Henryk M. Broder und Roland Tichy erwähnt Rosenkranz in einer Weise, die deren Status als Journalisten fraglich erscheinen lassen sollen. Auf Erika Steinbach verweist er nur sarkastisch als wohl "unvermeidliche Person".

Rosenkranz' Wut auf die "Wut, die sich ins Internet erbricht" entzündet sich an dem Umstand, dass bei der Kritik an Käßmann vielfach der Kontext "einheimische Bevölkerung" unterblieb. Geradeso, als sei dieser Kontext essentiell für das Verstehen der Käßmannschen Nazi-Nummer. Ihr Hinweis auf den "kleinen Arierparagrafen" der Nazis entfaltet mit und ohne den Kontext seine diffamierende Wirkung: unterstellt er doch der AfD-Forderung einen stigmatisierenden und diskriminierenden, am Ende eliminatorischen Charakter wie das Nazi-Gesetz. Und da hört der Spaß auf!

Sie habe nicht alle Deutschen gemeint, sagt Käßmann scheinbar entwaffnend, denn "dann gehörte ich selbst auch dazu". Nun, das darf man getrost nicht allzu wörtlich nehmen. Schließlich bedient sich der pastorale Duktus gerne auch des Plurals - unausgesprochen sich selber ausnehmend. Ich frage mich, wie eine vermutlich nicht unintelligente Frau diesen Nazi-Schmutz überhaupt so präsent im Kopf haben kann, dass sie ihn ihren Gegnern en passant um die Ohren haut. Gibt es keine kirchlichen oder theologischen Fragen um die sie sich kümmern kann?

Journalist Rosenkranz macht derweil in seinem Artikel einen Rundumschlag: Jörg Meuthen schäume, Henryk Broder kleffe, höhne und verleumde und Roland Tichy hetze und verdrehe bis zum Absurden. Insofern nichts Neues. In einem Punkt hat Rosenkranz aber recht: in die aktuelle Kritik Käßmanns Trunkenheit im Verkehr einzubinden, ist schon reichlich infam von der AfD.

Frau Käßmann überlegt derzeit, ob man wegen "der falschen Darstellung" ihrer Äußerung "manche Inhalte rechtlich verfolgen" solle. Gute Chancen hätte sie. Als "Nazi-Schlampe" zwar nicht, wie man weiß, als verspätete Kämpferin gegen den Nazismus allemal.

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