Dienstag, 21. Februar 2017

Vox populi

Drei Journalisten haben für "Zeit Online" vor ein paar Tagen ein YouTube-Video angesehen. Dieses sei, so behaupten sie fälschlich, ein Internet-Hit. Die drei Medienleute staunen über die Unfähigkeit der beiden Protagonisten des Videos, ein Gespräch zu führen. Kurzerhand wurde deshalb das Gespräch zum Nachlesen und Besprechen in Schriftform gebracht (transkribiert).

Das Video zeigt die Gesprächsattacken einer Dresdner Bürgerin auf Sachsens SPD-Chef Martin Dulig. Ausgangspunkt war eine sogenannte Kunstaktion auf dem Dresdner Neumarkt: drei in die Senkrechte beförderte, ausrangierte Linienbusse. Vorbild dafür waren drei von salafistischen Islamisten hochkant aufgestellte Busse in Aleppo, als Schutz vor gegnerischen Scharfschützen. Indem Bürger der Stadt zur Betrachtung dieser geschmacklosen Nachahmung genötigt werden, solle "ein Zeichen für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit" gesetzt werden. Eine abstruse Monstrosität als Fanal des Gutmenschentums.

Die Dresdnerin in dem Video sieht dies wohl auch so. Sie betrachtet den Politiker Dulig als mitverantwortlich für die 57.000 Euro teure provokante "Kunstaktion" in ihrer Stadt. Die Empörung der Frau ist überbordend. Ihre Vorhalte gegen Dulig geraten zur allgemeinen Abrechnung mit Politik und Medien, die ihresgleichen als Nazis oder Pack versuchen zu diskreditieren. Dulig gelingt es nur Satzrudimente der Bürgerin entgegenzusetzen. Ein Dialog kommt nicht in Gang.

Zum Einsatz von "Zeit Online" kommt die gerne verwendete Methode von Journalisten, einfache Bürger wortgetreu wiederzugeben. Die Absicht dahinter ist klar: Der in öffentlicher Rede ungeübte Bürger ist bloßzustellen. Das ist insofern infam, weil jedem Politiker oder Promi nach Interviews zugestanden wird, seine zu Papier gebrachten mündlichen Äußerungen gegenzulesen. Das heißt, das gesprochene Wort in Ruhe zu überdenken, unbedachte Äußerungen zu korrigieren oder gar zu eliminieren. Nicht-Prominenten wird diese Möglichkeit verwehrt.

Die drei Zeit-Journalisten widmen sich in diesem Sinne nun ihrem Transkript und formulieren ihre Gedanken dazu, ihre Deutungen des misslungenen Gesprächs. Der Älteste von Ihnen, Johann Michael Möller, formuliert noch moderat. Er beklagt den fehlenden wechselseitigen Respekt und sieht beide Widersacher in ihren Rollen verfangen. Treffsicher benennt er den Sozialarbeiter-Gestus von Dulig, der die Frau immer wütender werden lässt.

Die 40jährige Jana Hensel setzt auf Rotznäsigkeit. Sie findet Duligs freche Bemerkung, sein Gegenüber, die Dresdnerin, wolle nur "Müll abkippen", "einen schönen Satz". Und sogleich ergießt sich ihr unilaterales Brainstorming über den Begriff Müll. Die Zeit-Journalistin wörtlich: "Ihr Müll sind Worte, seit mehr als zwei Jahren wird dieser Müll nun bereits in Dresden und anderswo auf die Straße gekippt. Wütender Wortmüll, verallgemeinernder Wortmüll, diskriminierender Wortmüll und auch geschichtsklitternder Wortmüll, der leider oft entsteht, wenn mehr als fünf Deutsche anfangen, über den Krieg zu reden." - Eine Deutung der Journalistin, die den Zorn der Dresdnerin im Nachhinein nur allzu berechtigt erscheinen lässt.

Die Endzwanzigerin Anne Hähnig beklagt in ihrer Deutung des Videos die medialen Möglichkeiten, die heutzutage einem ernsthaften Gespräch im Wege stünden. Stichwort: Handy-Videos, die ihren Weg sogar bis in die TV-Nachrichten fänden. "Die Frau reflektiert das sogar", meint Hähnig, und unterstellt der Dresdnerin einen kalkulierten Auftritt für die große Öffentlichkeit. Auch sonst lässt die Journalistin keinen Zweifel an ihrer eher abschätzigen Meinung über die weibliche Protagonistin des Videos aufkommen.

Deutlich wird aus den Notizen der Zeit-Journalisten ein Ressentiment den einfachen Leuten gegenüber. Das wundert nicht, bedient die Wochenzeitung doch die akademische Oberschicht im Lande - und die ist links. Schießt die Redaktion übers Ziel hinaus, gibt es im Nachhinein eine selbstkritische Einschätzung des Chefredakteurs. Wie in der sogenannten Flüchtlingsfrage, bei der Chefredakteur di Lorenzo die Medien und das eigene Blatt als "Mitgestalter statt Beobachter" sieht. Motto: Wir haben verstanden, wir bessern uns. Dass dem nicht so ist, zeigt das tägliche, frenetische journalistische Feuerwerk gegen Trump. Die retrospektive Selbstkritik kommt aber bestimmt, vielleicht nächstes Jahr. Oder übernächstes?
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